Welchen Wert haben Zertifizierungen für Softwareentwickler tatsächlich?

17.07.2024

In der Softwareentwicklung werden viele Schulungen mit Zertifikaten angeboten. Da gibt es zum einen die Methodenschulungen von iSAQB, ISTQB oder IREB und zum anderen Technologieschulungen von Microsoft, Cisco, RedHat und anderen.

Ich möchte dieses Thema aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Zum einem aus dem Blickwinkel, welchen Wert ich als Softwareentwickler in Zertifizierungen sehe, zum anderen möchte ich aber auch die Blickwinkel einer Führungskraft und eines Trainers wiedergeben.

Welche Zertifizierungsarten gibt es?

Im Wesentlichen kann man zwischen Zertifizierungen für Methoden- und Technologieschulungen unterscheiden. Methodenschulungen legen den Fokus auf Arbeitsmethoden, Prozesse und Prinzipien, die für eine professionelle, effiziente und effektive Softwareentwicklung notwendig sind. Beispielsweise gibt es für den Themenbereich Softwarearchitektur Methodenschulungen der iSAQB, die ISTQB vermittelt Wissen zu Softwarequalität und Testing und Requirments Engineering und Digital Design wird von der IREB erarbeitet. Weitere bekannte Methodenschulungen befinden sich im Bereich der agilen Methoden, wie Scrum oder ICAgile. Ein weiteres wichtiges Feld der Methodenschulung ist das Projektmanagement. Schulungen zu PRINCE2 oder dem Project Management Professional (PMP) Zertifikat vom Project Management Institute (PMI) sind darauf ausgelegt, strukturiertes und planvolles Projektmanagement zu lehren.

Der Badge zum CPSA-F-Zertifizierung
Der Badge zum CPSA-F-Zertifikat

Technologieschulungen hingegen konzentrieren sich auf die technischen Fertigkeiten und das Wissen, das für die Entwicklung und Implementierung moderner Softwarelösungen erforderlich ist. Diese Schulungen decken ein breites Spektrum ab, von Programmiersprachen über Frameworks bis hin zu spezifischen Tools und Plattformen. Beispielsweise bieten Zertifizierungen wie der Oracle Certified Professional für Java oder der Microsoft Certified Azure Developer Associate tiefgehendes Wissen und praktische Erfahrungen in der jeweiligen Technologie, was den Entwicklern hilft, robuste und effiziente Anwendungen zu erstellen. Cloud-Hyperscaler haben in der Regel umfangreiche Zertifizierungsprogramme für ihre Dienste.

Neben den genannten Bespielen werden auch noch Schulungen für Werkzeuge angeboten. Das umfasst Entwicklungsumgebungen (IDEs) wie Visual Studio oder IntelliJ, aber auch Werkzeuge wie Modellierungssoftware oder Requirements Engineering Tools.

Zertifizierung aus verschiedenen Blickwinkel

In meiner Betrachtung beziehe ich mich in erster Linie auf Methodenschulungen, da ich hier die meiste Erfahrung habe. Viele meiner Punkte lassen sich aber genauso gut auf Technologieschulungen anwenden.

Sichtweise eines Softwareentwicklers

Ich bin kein gelernter Softwareentwickler, sondern habe eigentlich formell eine Ausbildung in Elektronik und Physik. Obwohl ich bereits in jungen Jahren mit Webentwicklung (JavaScript und PHP) gespielt habe und auch in meiner formellen Ausbildung Programmieren in Assembler und C gelernte habe, bin ich doch ein Quereinsteiger.

Quereinsteiger und Self-Taught-Devs sind heutzutage keine Seltenheit mehr, insbesondere da der Fachkräftemangel in der IT immer noch ein aktuelles Thema ist und ein Abflachen des Bedarfs an IT-Fachkräfte in naher Zukunft zu abzusehen ist. Für diese Personengruppen ist es wahrscheinlich, dass Wissenslücken entstehen, die mit Methodenschulungen geschlossen werden können.

Viele Methodenschulungen beinhalten Themen, die nicht im klassischen Informatikstudium behandelt werden. So kann auch ein vollausgebildeter Informatik-Absolvent mit Berufserfahrung von der Schulung profitiert, Grundlagen wiederholen und eventuelle Wissenslücken schließen. Selbst wenn man in der Materie sehr fit ist, kann man in einer Schulung immer wieder neue Perspektive auf ein Thema mitnehmen.

Zertifizierungsseminare werden meistens als mehrtägige Schulung angeboten, die am Stück durchgeführt werden. Als Seminarteilnehmer wusste ich es auch immer zu schätzen, dass ich mich für eine gewisse Zeit auf ein Thema exklusiv fokussieren konnte. Auch die Zertifizierung an sich bringt einen nicht zu vernachlässigenden Nutzen mit. Viele Personen schreckt das Vorbereiten und Lernen für eine Prüfung ab, aber tatsächlich nimmt man durch das Lernen und Beschäftigen mit dem Material auch nach der Schulungsdurchführung noch viele Inhalte mit.

Technologieschulungen sind nochmals ein etwas anderes Thema. Hier ist meines Erachtens eine regelmäßige Fortbildung unerlässlich, da sich Technologien und Tools ständig ändern. Als Entwickler muss man sowieso immer am Laufenden bleiben und sich tagtäglich fortbilden. Eine Schulung kann hier jedoch eine zeit- und kosteneffiziente Möglichkeit sein, um neue Technologie zu erlernen.

Sichtweise einer Führungskraft

Als Führungskraft habe ich zig Personen eingestellt und wahrscheinlich Hunderte Lebensläufe gelesen und bewertet. Dazu gehört es natürlich auch, die fachliche Kompetenz und Soft Skills der Bewerber einzuschätzen.

Für mich erfüllen Zertifikate als Führungskraft zwei Funktionen. Zum einen sind sie natürlich ein Wissensnachweis. Wenn jemand einen iSAQB Certified Professional for Software Architecture – Foundation Level und einen Google Professional Cloud Architect hat, kann ich davon ausgehen, das diese Person über ein bestimmtes Wissen in der Softwarearchitektur verfügt. Ich habe sogar ein sehr genaues Bild über das vermittelte Wissen, da diese Zertifikate international sind und somit jeder Absolvent in etwa das gleiche Wissen hat. Bei einem Abschluss der Hintertupfing State University weiß ich nicht, welche Inhalte vermittelt wurden. Ich könnte mir zwar das Curriculum der Universität ansehen, aber diese Zeit wird man sich als Führungskraft in der Regel nicht nehmen.

Formelle Ausbildung in Form eines Studiums oder von Zertifizierungen sind kein Ersatz für Praxiserfahrung. Es zählt aber immer die Kombination aus Bildung und Erfahrung.

CV
Auch im Lebenslauf machen sich Zertifikate gut.

Eine viel wichtigere Funktion erfüllen Zertifizierungen aber darüber hinaus noch, indem es zeigt, dass der Bewerbe sich fortgebildet hat und dass er es auch nicht scheut, sich einer Prüfungssituation auszusetzen. Das ist für mich persönlich ein sehr wesentlicher Punkt. Die IT befindet sich ständig im Wandel. Deshalb müssen wir uns auch immer fortbildbilden. Das geschieht natürlich nicht nur durch Zertifikate, sondern auch durch das (tägliche) Recherchieren im Internet, durch den Besuch von Konferenzen oder einfach nur durch den Austausch mit Kollegen. Zertifikate sind hier aber ein starker Indikator, dass der Bewerber Fortbildung ernst nimmt.

Diese Ausführungen gelten nicht nur für Bewerber, sondern auch für Mitarbeiter. Ein Mitarbeiter, der eine Zertifizierung machen möchte, zeigt Initiative und dass es ihm wichtig ist, sich zu verbessern. Beides sind Eigenschaften, die man gerne von seinen Mitarbeitern sieht!

Sichtweise eines Trainer

Wenn Sie mich als Trainer fragen, ob Zertifikate sinnvoll sind, antworte ich natürlich mit „Ja“. 😉

Es gibt hier natürlich noch etwas mehr zu sagen. Vorab aber der Hinweis, dass ich als Trainer für Methodenschulungen aktiv bin. Zum Zeitpunkt des Schreibens unterrichte den Certified Professional for Software Architecture – Foundation Level der iSAQB sowie von der ISTQB den Certified Tester Foundation Level und den Certified Tester Speciallist Level – Test Automation Engineer.

Aus Trainersicht gibt es einige erwähnenswerte Aspekte, die in den anderen Sichtweisen noch nicht genannt wurden. Ein Aspekt ist beispielsweise der Austausch unter den Teilnehmern. In einer öffentlichen Schulung sitzen in der Regel Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Branchen und mit einem unterschiedlichen Erfahrungsschatz. In Gruppenarbeiten, bei Fragen an den Trainer und in den Pausen besteht die Möglichkeit des Austausches mit anderen Leuten. Das bringt immer wieder Impulse und Einblicke, die man im Arbeitsalltag sonst nicht hat. So können auch sehr erfahrene Teilnehmer immer wieder neue Ideen und Inhalte von den Schulungen mitnehmen.

Zu guter Letzt ein Punkt wie ich als Trainer Zertifizierungsschulungen profitiere: Auch ich bekomme durch meine Teilnehmer immer wieder neue Einblicke und werde vor allem auch in meinen Sichtweisen herausgefordert. Es gab nicht nur ein Thema, bei dem eine Wortmeldung eines Teilnehmers mich zum Nachdenken und zum Ändern meiner Sichtweise gebracht hat.

Raphael Dumhart bei einem Seminar.
So sieht es aus, wenn ich ein Seminar halte.

Kritik an Zertifizierungen

Natürlich gibt es rund um Zertifizierungen auch einiges an Kritik. Zwei Themen kommen hier immer wieder auf. Zum einen die Relevanz der Inhalte und zum anderen die Qualität der Prüfung. Diesen Abschnitt beantworte ich in erster Linie für Methodenschulungen, da ich diese besser einschätzen kann.

Die Inhalte dieser Schulung sind immer ein Kompromiss zwischen verschiedenen Dimensionen:

  • Es steht nur begrenzte Zeit für das Seminar zur Verfügung.
  • Teilnehmer haben unterschiedliche Vorkenntnisse.
  • Teilnehmer kommen aus unterschiedlichen Branchen.
  • Unterschiedliche Arbeitsgruppenmitglieder haben unterschiedliche Sichtweisen auf die Inhalte. (Typischerweise bestehen die Organisationen, die die Lehrpläne veröffentlichen, aus freiwilligen Mitgliedern.)

Es wird also immer Inhalte geben, die der einzelne Teilnehmer aus überflüssig, irrelevant oder zu wenig detailliert empfindet. Die meisten Organisationen versuchen, dieses Problem zu mindern, indem sie ein mehrstufiges Zertifizierungsprogramm anbieten, das aus einem Grundkurs (Foundation Level) und mehreren erweiternden Kursen (Advanced Level) besteht. Die IREB hat beispielsweise 3 Model im Advanced Level, die iSAQB führt aktuell 16 Module im Advanced Level und die ISTQB hat 4 Advanced Level sowie 12 Specialist Level. Das erlaubt es, durchaus ein individualisiertes Zertifizierungsprogramm zusammenzustellen.

Der zweite Kritikpunkt betrifft die Prüfung. In der Regel sind diese Prüfungen als Multiple-Choice-Test ausgeführt. Diese Prüfungsart hab den Nachteil, dass die Fragen und Antworten von Prüfling interpretiert werden müssen. Missverständnisse oder unterschiedliche Interpretationen werden bei Multiple-Choice mit Punkteabzug geahndet. Bei offenen Fragen würde diese Interpretationsunterschiede in der Regel entdeckt und die Frage mit mehr Punkten bewertet werden.

Multiple-Choice hat aber auch Vorteile. Auf Seite der Prüfungsauswertung steht die rasche und maschinelle Ausarbeitung. Für den Prüfling gibt es aber auch einen Vorteil: Wenn man keine Ahnung hat, kann man zumindest raten. 😉

Übrigens sind nicht alle Zertifizierungsprüfungen Multiple-Choice. Für das Advanced Level des Certified Professional for Software Architecture muss beispielsweise eine Hausarbeit im Umfang von ca. 40 Arbeitsstunden angefertigt werden. Im Anschluss wird diese Arbeit von zwei unabhängigen Prüfern geprüft und Sie müssen in einem Telefongespräch Ihre Lösung erklären und verteidigen.

Conclusio

Ich hoffe, dass ich in diesen Artikel die Wertigkeit von IT-Zertifizierungen aufzeigen konnte. Zertifizierungen sind nicht nur ein Wissensnachweis, sondern auch der Weg zum Zertifikat bringt Ihnen Mehrwert.

Wenn Sie nun voller Tatendrang sind und Ihre nächste Schulung buchen wollen, dann gibt es dafür eigentlich nur eine Anlaufstelle. Mein Arbeitgeber Software Quality Lab Academy. Auf unserer Website finden Sie unser Schulungsangebot für den kompletten Software Development Lifecycle. Neben Methodenschulungen von IREB, ISTQB, iSAQB und UXQB bieten beispielsweise auch Themen zur agilen Softwareentwicklung von ICAgile und Scrum an.

Methodenschulungen mit Software Quality Lab Academy
Methodenschulungen mit Software Quality Lab Academy

Raphael Dumhart

Raphael Dumhart ist Berater für Softwareentwicklung und Softwarearchitektur. Neben dem Software Engineering hat er einen Großteil seiner beruflichen Laufbahn mit dem Aufbau von Entwicklungsteams, Unternehmern und Produkten verbracht. Unter anderem hat er 10 Jahre lang die Entwicklungsabteilung eines internationalen Konzerns geführt, ein IT-Startup mitgegründet sowie ein EduTech-Startup gegründet.

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